Wie erklärst du dir diesen enormen Unterschied?
Lena Rübelmann: Vor 100 Jahren wäre das einfach zu erklären gewesen, da war es das historische Setting. Aber heute sollten wir uns schon alle die Frage stellen, warum ist das noch so? Es heißt immer, Frauen trauen sich einfach nicht genug, sind nicht mutig genug. Das ist aber nur ein sehr kleiner Teil der Wahrheit. Wir dürfen nicht drum rumreden, dass Frauen andere Gründungsvoraussetzungen als Männer haben und dass es viele strukturelle Hürden gibt.
Welche sind das?
Lena Rübelmann: Eine große Rolle spielt das sehr konservative Rollenverständnis, das wir in Deutschland immer noch haben. Noch ist das traditionelle Familienbild, das sich nicht wirklich durch Gleichberechtigung auszeichnet, überall präsent. Bezogen auf die Lebensplanungen unterscheiden sich dadurch Männer und Frauen. Männer sind weniger eingeschränkt in ihrer Wahl. Frauen überlegen sich beispielsweise oft ganz genau, ob sie im Alter zwischen 25 und 35 ihr eigenes Unternehmen aufziehen. Das mangelnde Kinderbetreuungsangebot unterstützt nicht gerade bei der Gründung, sie wollen aber auch Familie haben. Solange viele Frauen noch das Gefühl haben, es ist entweder Kinder oder Karriere, beeinflusst das die Entscheidung zu Gründen.
Außerdem ist es ein Branchenthema. Viele Branchen, in denen Frauen gründen, gelten als weniger lukrativ, weniger hip. Wir begleiten jährlich 200 bis 300 Gründerinnen im GIG7, die meisten gründen in den Branchen Dienstleistung, Gesundheitswesen, freie Berufe. Das ist nicht B2B Tech, wo sich die Investoren tummeln und es etliche Förderprogramme gibt. Auch die Art und Weise, auf die viele Frauen gründen, spielt mit Sicherheit eine Rolle. Wie anfangs erwähnt, sehr häufig steht bei ihnen die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Ihre Motivation ist es, etwas in der Gesellschaft zu verändern, einen sozialen Mehrwert zu schaffen. Sie wollen nach ihren Werten agieren und die Businesspraxen aus der Alltagsarbeitswelt so nicht übernehmen. Sie sind seltener auf Wachstum und Rendite aus, daher fallen sie aus dem klassischen growth-getriebenen Startup-Muster raus.
Wenn es dann um die Finanzierung der Gründung geht, finden wir bei Gründerinnen ganz andere Voraussetzungen vor. Zum einen haben Frauen oft viel weniger Zugang zu Kapital. Zum anderen, wenn es beim Pitchen um Geld geht, sind die Menschen, die dich beurteilen, häufig männlich. Gleiches gilt für Finanzgespräche, Jurys oder potenzielle Auftraggeber. Das Gegenüber ist meist ein weißer Mann zwischen 35 und 60. In einer idealen Welt wäre das kein Problem. In der Realität ist es aber so, dass – ich drücke es mal so aus – Hans lieber in Hans investiert. Hans kann sich einfach besser mit Hans identifizieren, mit dessen Branche, mit dessen Charakter oder dessen Weltsicht. Hans erscheint ihn sympathisch, vertrauenserweckend und er sieht in ihm das Potenzial, das er sich selbst auch zuschreibt. Das sind Prozesse im Unterbewussten, denen wir unterliegen. Unconscious Bias ist hier das entscheidende Schlagwort. Wahrscheinlich würde auch Elise in Elise investieren, nur gibt es kaum Elisen, die investieren.
Die 15,7 Prozent sind also ein Zusammenspiel aus vielen Aspekten, das macht es auch so komplex.
Hat sich die Lage für Gründerinnen in den letzten Jahren verbessert?
Lena Rübelmann: Was man immer hört, ist, dass sich viel ändert, es offener wird und die Zahlen an weiblichen Gründungen steigen. Das stimmt auch zu einem kleinen Teil, es geht in gaaanz kleinen Schritten voran. Das genügt aber nicht! Damit es endlich schneller geht, müssen wir einen gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Wenn wir die Situation für Gründerinnen merklich verbessern wollen, müssen wir allen voran als Gesellschaft diverser werden und Rollenklischees aufbrechen.
Jetzt haben wir viel über andere geredet. Wie sieht eigentlich dein Arbeitsalltag aus?
Lena Rübelmann: Jeden Tag was Neues (lacht). Ich glaube, ich habe gar keinen Arbeitsalltag im Sinne einer Arbeitsroutine. Mal braucht es eine Renovierung im GIG7, mal suchen wir Investment für eine Gründerin aus der Beratung, mal stellen wir eine Panel-Diskussion auf die Beine, mal suche ich nach neuen Fördermöglichkeiten bei Stadt, Land und EU für weitere Female Entrepreneurship-Projekte. Ich arbeite unheimlich gerne mit unseren 10 Beraterinnen und dem gesamten GIG7-Team zusammen und ich brenne sehr für unser gemeinsames Thema.
Ihr habt im GIG7 ein riesiges Workshopangebot. Wie stellt ihr dieses zusammen?
Lena Rübelmann: Wir überlegen, welches Wissen Gründer*innen in der Gründungsphase wirklich brauchen können. Das Workshop-Programm ist daher aufgeteilt in „Business Basics“, „Online Marketing“ und „Female Entrepreneurship“. Impulse für neue Formate nehmen wir aus unserer täglichen Beratungsarbeit und aus den Gesprächen mit den Gründerinnen im Haus. Ein weiterer Mehrwert über die Themen hinaus ist der Austausch, der in den Workshop- Gruppen entsteht. Die meisten Workshops sind für alle Geschlechter und finden zur Zeit digital statt, so lernt man andere Gründer*innen und Akteure aus dem Mannheimer Ökosystem direkt kennen.
Was ist dir an deiner Arbeit wichtig?
Lena Rübelmann: Mir ist wichtig, dass wir die Gründerinnen bestmöglich beraten. Über 60 Prozent der Frauen, die sich bei uns beraten lassen, gründen danach tatsächlich und 80 Prozent davon bleiben länger als 5 Jahre am Markt. 92 Prozent der Gründerinnen würden wieder gründen. Dann zeigt mir das, dass unsere Arbeit einen deutlichen Mehrwert hat. Mir ist aber genauso wichtig, das Big Picture nicht aus dem Auge zu verlieren. Immer wieder auf Missstände hinzuweisen, das Thema langfristig in den Köpfen zu platzieren und gemeinsam mit immer mehr Mannheimern und Mannheimerinnen an Lösungen zu arbeiten.