KULTURELLE STADTENTWICKLUNG

Zuerst spielte er Geige im Orchester, dann Bass in einer Punkband. Im Studium verband er Geisteswissenschaften mit Betriebswirtschaft. Kein Wunder, dass Schnittstellen heute sein Fachgebiet sind – und kulturelle Stadtentwicklung sein Auftrag. Wir haben Matthias Rauch im Mannheimer Jungbusch zum Interview getroffen.

 

Viele kennen Dich vom Clustermanagement Musikwirtschaft. Was waren dort deine Aufgaben?

Etwa zwei Jahre lang war ich Leiter des Clustermanagements und Ansprechpartner für Akteure aus der Mannheimer Musikwirtschaft. Mein Aufgabenspektrum umfasste Workshops, Netzwerkveranstaltungen und Repräsentanzen – national wie international – sowie Beratungen. Ziel war es, neue Marktzugänge für Mannheimer Unternehmen zu schaffen und neue Firmen in Mannheim anzusiedeln. Das Clustermanagement gibt es auch heute noch: Seit Anfang des Jahres ist es Teil der Music Commission – und dort in besten Händen.

 

 

Heute leitest Du die Kulturelle Stadtentwicklung. Wie hat sich Dein Job verändert?

Mittlerweile bin ich Ansprechpartner für alle Kultur- und Kreativakteure – über alle Sparten hinweg. Als Stakeholder realisiere ich über Kontakte und Netzwerke Projekte und leiste Unterstützung in verschiedenen Konzeptionsphasen. Unser Ziel ist es, Projekte an den Schnittstellen von Kunst und Kultur sowie Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft zu initiieren. Eines unserer Anliegen ist, dass sich alle Bereiche auf Augenhöhe begegnen. Interdisziplinäre Kooperationen sind der Nährboden echter Innovation. Vorgeordnetes Ziel ist auch, dass  Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Kunst lernen, sich als gleichwertige Partner anzusehen. Künstler bringen eine eigene Denkstruktur mit – assoziativ statt linear. Es birgt viel Potential, wenn man Kreative von Beginn an in Change-Prozesse integriert. So entstehen neue Ideen und Lösungsansätze.

Gibt es ein konkretes Beispiel für eine solche Kooperation?

Klar, da gibt es einige. Besonders spannend ist aktuell ein Gemeinschaftsprojekt der Uniklinik, des Fraunhofer Instituts und der Kultur- und Kreativwirtschaft. Es geht um die Schnittstelle zwischen Musik, Medizin und Technologie. Gemeinsam eruieren wir, welche Rolle Musik bei der Behandlung von Krebspatienten spielen kann. Wie kann durch Einfluss von Musik die Patientenerfahrung während einer Chemotherapie positiv aufgewertet werden? Ein anderes Projekt an der gleichen Schnittstelle widmet sich dem Thema Musik im OP-Saal. Bei vielen Operationen läuft Musik, aber es gibt bisher kaum Untersuchungen dazu, wie sie die Performance der Operateure beeinflusst.

Dein aktueller Themenschwerpunkt ist also das Schnittstellenmanagement?

Ja, aber nicht nur. Wir treiben auch verschiedene Placemaking-Projekte. Der Fokus liegt dabei auf den Stadtteilen Jungbusch und Neckarstadt-West. Es geht um Orte, die teilweise als problematisch oder prekär empfunden werden. Wir wollen diese Quartiere durch künstlerische Bespielung umcodieren und für Anwohner und Besucher neu erfahrbar machen.

Wo ist das bereits gelungen?

Aktuell durften wir ein schönes Projekt der Agenturen Yalla Yalla! und Brückner & Brückner unterstützen, das sich Haltestelle Fortschritt nennt. Über den Zeitraum von zwei Wochen wurde die Haltestelle Rheinstraße an der Schnittstelle zwischen Innenstadt und Jungbusch gemeinsam bespielt. Ein Ort, der immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt hat und im Bewusstsein vieler als No-Go-Area gilt. Dort wurde eine temporäre Architektur erschaffen und ein Programm aus Literatur, Musik und Film auf die Beine gestellt. Es gab Essen und Trinken, eine Konferenz zum Thema Stadtentwicklung und in Zusammenarbeit mit der Hochschule einen Urban Hackathon. So hat man es geschafft, einen negativ konnotierten Ort, der mit seiner Grünfläche und der Sportanlage eigentlich viel Potential hat, neu erfahrbar zu machen. Die Aktion war ein schöner Erfolg. Passanten sind stehen geblieben, haben Fragen gestellt, sich dazugesetzt und ich glaube, die Wahrnehmung des Ortes hat sich bereits jetzt schon verändert. Es gibt nun auch viele schöne und positive kollektive Erinnerungen, die mit diesem Ort verbunden sind.

 

 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Leben von Dr. Matthias Rauch aus?

Mein Büro ist im Musikpark im Jungbusch – und kein Tag ist wie der andere. Täglich treffe ich auf sehr unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Perspektiven – da ist Übersetzungsarbeit und Moderation gefragt. Ich bin Vermittler zwischen einzelnen Bereichen, versuche gemeinschaftliche Perspektiven zu entwickeln, Diskurse zu gestalten und Denkweisen zu entschlüsseln. Beim Übersetzen zwischen den Welten hilft mir mein Studium. Ich bin Geisteswissenschaftler und Betriebswirt. Das sind konträre Denkweisen, die in Kombination äußerst produktiv sein können. Ich versuche, offene und inklusive Netzwerke zu gestalten, die Raum für Impulse von Außen lassen.

Was ist die Sprache der Kreativen, was die der Wirtschaft?

In der Wirtschaft will man zielgerichtet von A nach B. Von der Ausgangssituation zum Ziel, das ist ein klarer linearer Prozess. Künstler funktionieren oft überhaupt nicht so. Sie denken offen und wissen meistens nicht genau, was am Ende rauskommt. Offenes Denken in offenen Modulen – das ist künstlerisch kreativ. Wir sehen uns heute mit vielen komplexen Systemen konfrontiert: Künstler bringen da per se ein gutes Rüstzeug mit, weil sie in ihren Prozessen immer mit variablen und unsicheren Faktoren umgehen müssen. Das macht sie so wertvoll für andere Bereiche.

 

 

Folgst du als Netzwerker einem inneren Impuls oder wirst du beauftragt?

Beides ist möglich. Oft initiieren wir Prozesse selbst und versuchen, Bereiche und Akteure sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Aber ja, es gibt auch gezielte Anfragen aus Wirtschaftsunternehmen, die sich Workshops zu Problemlösungen wünschen. Mein Ansatz ist es, das Silodenken aufzubrechen: Denken in nur einer Disziplin und in starren Mustern ist für die Innovationsfähigkeit einer Stadt immer nachteilig; Neues kann nur entstehen, wenn unterschiedliche Perspektiven, Menschen und Denkweisen aufeinandertreffen. Im besten Fall läuft es so, dass wir eine Dynamik anstoßen und die Akteure den Prozess dann selbständig aufgreifen und weiterführen. Wir wollen Impulsgeber sein.

Welchen Anteil habt ihr am Comeback des Nachtwandels?

Der Nachtwandel ist eine Institution im Jungbusch. Als letztes Jahr mit der Tradition gebrochen werden musste, gab es einen Aufschrei. Mich freut es, dass wir dieses Jahr auf einem sehr guten Weg sind. Zum ersten Mal sind wir Projektpartner der Veranstaltung und unterstützen das Gemeinschaftszentrum Jungbusch und den Quartiermanager Michael Scheuermann aktiv. Wir helfen bei Finanzierungs- und Programmfragen, bei Sicherheit und Ordnung und der Abstimmung mit den beteiligten Gastronomen. Mit unserem Crowdfunding-Konzept haben wir eine ganz neue Finanzierungsquelle für den Nachtwandel aufgetan. Das Projekt ist gut angelaufen und wir bewegen uns steil auf unser Funding-Ziel von 10.000 Euro zu. Außerdem planen wir, Jungbusch-Becher mit einem eigenen Design zu verkaufen, mit denen man auch bei allen Gastronomen pfandfrei eingeschenkt bekommt. Der Erlös kommt direkt der Veranstaltung zugute. Gleiches gilt für die eigens gestalteten Nachtwandel-Buttons, die es dieses Jahr zum ersten Mal geben wird und die wir gegen Spenden ausgeben werden. Sie sind der nachhaltige Nachfolger der blinkenden Nachtwandelsterne von früher. Das sind gleich drei neue Fundraising-Aktivitäten, mit denen wir dazu beitragen, das Fortbestehen des Nachtwandels zu sichern.

An welchen langfristigen Projekten arbeitest du zurzeit?

Da gibt es eine ganze Menge. Besonders am Herzen liegt mir ein Residency-Programm, das sich bislang noch in der ersten Konzeptionsphase befindet. Hier wollen wir versuchen, Künstler und Kreative direkt in Projekte in den Bereichen Wirtschaft, Technologie, Wissenschaft und auch in der Verwaltung zu integrieren. Hilfreich dabei sind auch erste Projekte an den Schnittstellen zu Medizin und Technologie. Damit das gelingt, bedarf es einer Menge Offenheit auf beiden Seiten. Künstler arbeiten sich in diesem Umfeld oft zum ersten Mal in ein für sie komplett neues Thema ein. Für mich heißt das erstmal Vertrauensarbeit leisten – in alle Richtungen. So ein Programm birgt riesiges Potential für alle zukünftigen Partner .

Wendet ihr euch auch gezielt an Partner von außerhalb?

Auf jeden Fall! Netzwerke, die noch in meiner Zeit beim Clustermanagement entstanden sind, sind zunehmend national und international angelegt. Sowohl für die Stadt Mannheim als auch für Startup Mannheim ist die Internationalisierung ganz wichtig. Ein schönes Projekt in diesem Zusammenhang, das ich im letzten Jahr betreuen durfte, ist Mix The City Mannheim, bei dem sich die Menschen online ihren eigenen Soundtrack Mannheims mixen können.  Der künstlerische Kurator war Ziggy Has Ardeur und das Projekt eine Kooperation mit dem British Council Israel. Ein weiteres Beispiel für die Internationalisierung der Netzwerke ist der Titel UNESCO CITY OF MUSIC. Seit Dezember 2014 sind wir Teil des Creative Cities Netzwerk und damit auch im Kulturbereich auf höchstem internationalen Level angelangt. Wir wollen Erfahrungen austauschen und von der Expertise der anderen lernen. Was können wir in Zukunft besser machen? Welche Ideen können wir für Mannheim übernehmen? Welche Projekte können wir mit Akteuren aus Mannheim fördern oder initiieren? Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen.

 

 

Mannheim und Tel Aviv verbindet eine enge Partnerschaft. Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit im Bereich Kreativwirtschaft?

Der Austausch mit Israel ist sehr fruchtbar für Mannheim, sowohl im Bereich Kultur als auch in Bereich Startup-Ökonomie. Man muss das ganzheitlich betrachten: Kultur und Kreativität sind essentieller Bestandteil eines jeden Startup-Ökosystems. Kultur funktioniert als Dynamik- und Innovationsmotor. Nur wer in seiner Stadt über ein spannendes kulturelles Umfeld und eine kulturelle Dynamik verfügt, kann im Städteranking mithalten und überregional Fachpersonal an den Standort holen und vor allem auch dort halten. Deswegen ist die kulturelle Stadtentwicklung bei Startup-Mannheim angesiedelt, die ja primär dafür zuständig sind, den Gründer- und Innovationsstandort Mannheim zu stärken und auszubauen. Tel Aviv ist wahnsinnig dynamisch und hochinteressant. Wir können von den Israelis viel lernen, besonders in Mentalitätsfragen. In Sachen Learning-by-Doing und Trial-and-Error ist Tel Aviv uns weit voraus. Das typisch deutsche Credo „Alles von A-Z durchplanen und dann erst loslegen“ ist für eine Gründerkultur eher hinderlich.

Konversion ist ein großes Thema in Mannheim. Was kann Kultur als Innovationsmotor hier leisten?

Die Konversionsflächen sind eine große Chance für Mannheim. Die Stadt hat schon sehr früh erkannt, wie wichtig Kultur- und Kreativwirtschaft für Stadtentwicklungsprozesse sind. Es gibt weit gediehene Pläne, zusammen mit privaten Investoren einen Komplex zu errichten, der sich an der Schnittstelle von Bewegtbild und Musik ansiedeln wird. Als Treiber wird die Kreativwirtschaft bei der Entwicklung der Konversionsflächen sicherlich eine wichtige Rolle spielen, ganz klar.

 

 

Jungbusch, Neckarstadt-West und Konversionsflächen sind die Hauptschauplätze kultureller Stadtentwicklung. Wie siehst du die Situation in der Innenstadt?

Die Quadrate sind geprägt von den großen traditionsreichen Kulturinstitutionen. Abgesehen davon gibt es aber durchaus Nachholbedarf. Die Situation ist ausbaufähig, zum Teil ist das der engen Bebauung geschuldet. Diese Form von Architektur macht Musikveranstaltungen fast unmöglich und lässt sich nicht einfach aushebeln. Die Frage ist daher, wie man trotz dieser Rahmenbedingungen Kultur im öffentlichen Raum wieder stärker fördern kann. Kultur muss auch in der Stadtmitte stattfinden und darf sich nicht nur auf Kieze beschränken. Anwohnerbeschwerden wirken einer entsprechenden Entwicklung oft entgegen. Unser Ziel muss daher sein, neue Wege der Kommunikation mit allen Beteiligten zu finden.

Wenn Mannheim eine Kunstform wäre, welche wäre sie deiner Meinung nach?

Gute Frage – aber auch schwierig. Auf jeden Fall eine Schnittstellenkunst, Musik und Klang treffen auf bewegte Bilder. Man kann das nicht auf ein Genre runterbrechen, aber ich denke eine Mischung aus Media Art und Performance Art mit ganz viel Musik und auf jeden Fall sehr multikulturell. Die Offenheit und Toleranz der Stadt spiegelt sich in vielen künstlerischen Szenen wieder. Wir haben eine schöne, junge Weltmusikszene, die sich gerade über die Orientalische Musikakademie und über das Programm der Popakademie entfaltet. Mannheim hat aber auch eine sehr lebendige Jazzszene und natürlich schon immer eine grandiose Indie- und Elektroszene.

 

 

Was sind für dich die kulturellen Highlights für das Winterhalbjahr?

Der Herbst steht klar im Zeichen des Enjoy-Jazz-Festivals. Traditionell wird es dann zum Jahreswechsel hin kulturell etwas ruhiger, aber für das Frühjahr steht schon das nächste Jetztmusik Festival in den Startlöchern. Im April wird es eine spannende Veranstaltung namens The Look of Sound – Fernsehforum für Musik geben. Dabei geht es um Musik im Fernsehfilm, also die Schnittstelle zwischen Bewegtbild und Musik. Das Ganze steigt in der Popakademie. The Look of Sound hat zuvor bereits viele Jahre in Bremen stattgefunden und ist nun auf meine Initiative hin vor zwei Jahren nach Mannheim gezogen. Außerdem freue ich mich schon auf das nächste B-Seite Festival für visuelle Kultur und Jetztkultur, das Maifeld Derby und die Time Warp. Ich bin gespannt auf das Programm am Kiosk in der Neckarstadt-West, in der Alten Feuerwache und im Zeitraumexit sowie im Theaterhaus G7, um jetzt nur einige zu nennen. Mannheim hat kulturell einfach wahnsinnig viel zu bieten.


Interview: Andreas Stanita / LA.MAG Content. Corporate. Communication.

Fotos: Ricardo Wiesinger

Kulturelle Stadtentwicklung Mannheim