Vier Jahre am Puls des MANNHEIMER Startup-Ökosystems

Ein Interview mit Anna Hüttl, ehemalige Managerin des Startup-Ökosystems bei NEXT MANNHEIM

Anna Hüttl war vier Jahre lang Startup Ecosystem Manager bei NEXT MANNHEIM. Seit 2019 war sie somit eine treibende Kraft des lokalen und regionalen Startup-Ökosystems. Insbesondere den Themen Skalierung, Internationalisierung und Female Entrepreneurship hat sie sich gewidmet. Im Oktober letzten Jahres hat sie die Stafette an ein neues Team weiter gegeben und lässt in diesem Interview vier Jahre in einem sehr spannenden Job Revue passieren.

ANNA, WAS FÜR EIN STARTUP-BUCH LIEGT MOMENTAN AUF DEINEM NACHTTISCH?

Anna: "Auf meinem Nachttisch liegen eigentlich immer drei unterschiedliche Bücherstapel. Einmal Romane, vor allem Krimis, immer etwas zum Thema Persönlichkeitsentwicklung.

Gerade befasse ich mich bei meiner Lektüre unter anderem mit dem Thema „Ernährung nach dem Zyklus“. Es wird oft unterschätzt, wie stark Frauen, von ihrem Zyklus beeinflusst werden. Abgesehen von dem typischen Klischée „zickig“ zu sein, hat jede Zyklusphase eine besondere Qualität, die ich gerne für mich nutzen möchte. Wenn ich gut belastbar sein will, wann immer ich es brauche und auch immer präsent und vor Ort sein will, muss ich mich mehr an meinem Zyklus orientieren und diese Qualitäten zumindest in meine Gesundheitsstrategie mit einbeziehen.

Außerdem lese ich gerade ein Buch einer indischen Gründerin, weil ich Erfahrungen aus anderen Kulturkreisen super spannend finde. Zwei wichtige Erkenntnisse habe ich dieser Lektüre entnommen. Das eine ist die Formel „Simple is Powerful“ – Also die Frage danach, was sind die kleinen Nuggets mit denen du [dein Startup] starten kannst? Und die Erkenntnis, dass am Anfang nicht unbedingt die große Vision gleich realisiert werden muss. Ich glaube, das gilt für Gründer*innen, die ganz am Anfang stehen, genauso wie für Projekte oder Veränderungsprozesse innerhalb des Unternehmens.

Und das zweite Konzept, das ich besonders interessant finde ist, selber zu wissen, was sind eigentlich meine Stärken, meine Schwächen und wie ergänze ich die. Also, eine Liste erstellen, mit den Stärken oder den Skills, die benötigt werden für die aktuelle Herausforderung, oder für die nächste Entwicklungsphase im Startup oder bei der persönlichen Karriereentwicklung. Die eigenen Stärken „stärken“, die Dinge abgeben, die ich schon versucht habe, mir anzueignen, aber es nicht geschafft habe – zum Beispiel an Co-Founder und Team-Mitglieder. Und als drittes, neue Skills erlernen, die ich noch nicht ausprobiert habe."

HÄTTEST DU ZUSÄTZLICH NOCH EINE STARTUP-BUCH EMPFEHLUNG?

Anna: "Es gibt ein Buch, das ich immer wieder aus dem Regal hole, alle werden jetzt denken „Oh je, das ist doch von vorgestern“. Es ist tatsächlich das Business Canvas Model Playbook, weil ich denke, dass es so viele Anwendungsmöglichkeiten hat und vor allem in unterschiedlichen Unternehmensphasen immer wieder nützlich sein kann."

Was es wirklich oft braucht, ist außerdem die Kill the good for the better-Mentalität
Anna Hüttl – Manager Startup Ecosystem NEXT MANNHEIM

DU HAST HUNDERTE VON STARTUPS BETREUT: WAS SIND DEINER MEINUNG NACH WENIGER BEACHTETE ERFOLGSFAKTOREN FÜR EIN UNTERNEHMEN?

Anna: "Wahrscheinlich werde ich jetzt nichts sagen, was nicht schon irgendwo beschrieben wurde. Aber es ist ja auch immer interessant, Dinge, die man mal gelesen hat, auch mit dem eigenen Alltag abzugleichen. Persönlich differenziere ich Erfolgsfaktoren der frühen Phase und der späteren Phase. Ich glaube, in der frühen Phase ist Fokus und Disziplin wichtig, weil ich ganz oft Gründer*innen kennengelernt habe, die eine klasse Technologie oder Erfindung hatten, aber nicht diszipliniert waren, wenn es darum ging, den richtigen Markt dafür zu finden und nicht fokussiert drangeblieben sind. Bei Pitches hört man dann oft„eigentlich können wir alles machen“, oder „jeder ist unser*e Kund*in“. Dann weiß ich, das Team hat seine Hausaufgaben noch nicht gemacht. Klar ist die Technologie wichtig. Aber was ist der Eintrittsmarkt, indem das Team am Anfang beweisen kann, dass die eigene Technologie funktioniert und einen gewissen Grundstock an Kund*innen generieren kann?

Was es wirklich oft braucht, ist außerdem die „Kill the good for the better“-Mentalität: Ideen aufzugeben, loslassen können, zu merken „Ah, okay. Das habe ich jetzt versucht. Die Hypothese konnte nicht bestätigt werden. Auch wenn ich die Idee super finde und sie mir sehr am Herzen liegt, muss ich jetzt trotzdem loslassen und offen sein für die nächste Idee oder für eine Abwandlung der alten Idee oder ähnliches... Und dabei weiß ich auch, dass es manchmal auch gar nicht so leicht ist die Balance zwischen loslassen und durchhalten zu finden.

In Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale, die mit Erfolg zusammenhängen...da bin ich immer ein bisschen skeptisch und könnte im Rückblick gar nicht sagen diese oder jene Eigenschaften hängen mit erfolgreichen Unternehmen zusammen. Unternehmertum ist eine Entwicklungsreise, die man durchmachen muss und die einen entsprechend verändert. Man liest oft, Unternehmer*innen müssen super kritisch sein, ganz genau wissen, was sie wollen, immer danach fragen, was sie gerade brauchen, sehr klar kommunizieren, präsent sein, gut auftreten. Viele, v.a. weibliche Founder denken oft, „oh je, so bin ich gar nicht“ und setzen sich unnötig unter Druck."

WIE VERÄNDERN SICH GRÜNDER*INNEN MIT DER ZEIT? WAS MACHT ENTREPRENEURSHIP MIT UNS?

Anna: "Das ist eine sehr interessante Frage. Es sind eher subtile Unterschiede, z.B. ist mir aufgefallen, dass Gründer*innen mit der Zeit oft authentischer werden. Auf einer Reise mit sich selbst und zu sich selber. Und das reflektiert ja auch genau diese Fähigkeit zu lernen und sich selber zu hinterfragen und über das eigene Handeln und über die eigenen Fähigkeiten ehrlich zu reflektieren. Am Anfang denkt man vielleicht noch „was denken die über mich und wie kann ich auf der Bühne noch cooler präsentieren?“ Und dann sind die besten Pitches eigentlich die, die authentisch wirken." 

Gründer*innen werden mit der Zeit oft authentischer
Anna Hüttl – Manager Startup Ecosystem NEXT MANNHEIM

KANNST DU DICH NOCH AN DEINE ERSTEN TAGE IM ÖKOSYSTEM, AN DEIN EIGENES BEWERBUNGSGESPRÄCH ERINNERN?

Anna: "Ich glaube, das war im Juni. Juni 2019. Ich hatte damals mit Café AGÁTA im Bereich Onlinemarketing gearbeitet, habe unterschiedliche Unternehmen beraten und gleichzeitig noch meine Masterarbeit zum Thema Intrapreneurship in KMUs geschrieben. Und dann dachte ich „komm, jetzt bewerbe ich mich“. Wir hatten dann ein richtig gutes Bewerbungsinterview  und dann kam auch sehr rasch die Zusage. 

DEINE ELTERN SIND BEIDE UNTERNEHMER. WIE HAT DICH DIESE KONSTELLATION GEPRÄGT?

Anna: "Genau. Meine Eltern haben zusammen gegründet. Nach seiner Ausbildung bei einer Bank sagte mein Vater: „Ich will nie wieder einen Chef haben“. Mein Großvater hat dann auch zu meiner Mutter gesagt, die damals Lehramt studierte „wenn du ihn heiraten willst, dann musst du ihm auch bei seinem Unternehmen helfen“. Meine Mutter hat daraufhin Buchhaltung gelernt, gegründet haben dann beide zusammen zwei Monate nach meiner Geburt. Von zwei Mitarbeiter*innen wurde auf ca. 30 skaliert, das Unternehmen ist auch ein starker Ausbildungsbetrieb. Lange Jahre war das Büro bei uns zu Hause. Das heißt, meine Eltern und ihre ersten zwei Mitarbeitenden waren rund um die Uhr da. Wir haben alle zusammen Mittag gegessen. Das war einerseits extrem cool, weil man viel mitgekriegt hat und immer jemand da war. Aber es war natürlich auch nicht so leicht, diese Balance zwischen Unternehmertum und Familie zu bewahren. Wann fängt Familienzeit an? Wann ist Zeit, um über die Arbeit zu reden? Und deswegen dachte ich nach dem Abi, dass ich auf keinen Fall etwas mit Unternehmertum oder Gründung zu tun haben möchte. Ich glaube es war meine Rebellion. So weit weg wie möglich wollte ich. Und genau das habe ich dann auch gemacht. Ich war ein Jahr im Ausland in Mexiko, habe da in einer Bäckerei gearbeitet, war Englischlehrerin und bin zurückgekommen, um Soziologie zu studieren. Ich habe unterschiedliche Praktika gemacht und interessanterweise, immer wieder das Thema Arbeitsumfeld in KMUs aufgegriffen. Meine Bachelorarbeit handelte zum Beispiel über Mitarbeitenden-Wertschätzung in KMUs."

Tauscht euch aus und schafft Orte an denen ihr euch mit anderen Gründer*innen austauschen könnt
Anna Hüttl

WAS WÜRDEST DU DEM STARTUP-ÖKOSYSTEM GERNE NOCH MIT AUF DEN WEG GEBEN?

Anna: "Tauscht euch aus und schafft Orte an denen ihr euch mit anderen Gründer*innen austauschen könnt, sichere Orte, wo man sagen kann „es läuft bei mir richtig, richtig schlecht und ich weiß nicht, wie ich nächsten Monat Gehälter bezahlen kann“. Denn das darf man bei all dem Wirbel rund um Unternehmertum nicht vergessen, dass es auch andere Seiten gibt, über die Gründer*innen nicht offen sprechen können, nicht mit Investor*innen, schon gar nicht mit ihren Mitarbeitenden. Schafft euch diese wichtigen Orte!"

PEOPLE OF RHEIN-NECKAR VÄLLEY schreibt über unser Startup-Ökosystem, über die Menschen dahinter. Wir berichten über Institutionen, Startup-Politik und über Erkenntnisse aus der Entrepreneurship-Forschung.
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