Ja, ich bin ein Gamer!

Ilhan Scheer über seinen Exit mit fable+, Unternehmenskultur und innovative Ansätze

Ilhan Scheer, Gründer und CEO von fable+ freut sich über einen erfolgreichen Exit. Kürzlich hat das Beratungsunternehmen Accenture seine im MAFINEX Technologiezentrum ansässige Firma übernommen.  Im INTERVIEW erzählt er, wie sich das anfühlt, wieso sein Weg manchmal holprig war und was Mannheim für Gründer so besonders macht. 

Dein Exit mit fable+ ist in trockenen Tüchern. Ist man da nur happy, oder gibt es auch ein weinendes Auge?

Ilhan: "Ganz ehrlich? Ich war erleichtert. Für mich war das Schwierigste, die Mitarbeiter während der Krise in Kurzarbeit schicken zu müssen, nicht, die Firma zu verkaufen. Bei den monatelangen Verhandlungen seit Juli letzten Jahres lag der Fokus schon ganz klar auf mir  - man muss eben schauen, wie kommt man zusammen? Der Druck ist da natürlich groß, weil du auf vielen Ebenen in der Verantwortung bist.  Deine Mitarbeiter wollen nicht zuhause sitzen, sie wollen arbeiten. Die Erleichterung, dass das dann alles geklappt hat war einfach immens groß."

Was für Auswirkungen hatte Covid im vergangenen Jahr für euch?

Ilhan: "Ja, das hat uns natürlich getroffen. Vor Ort zu sein ist klar einer unserer Assets, und große Stärke – von Trainings bis Workshops. Wir waren bei den Kunden, oder sie bei uns. Von dieser Energie haben wir gelebt. Auch ich musste einige Mitarbeiter entlassen oder in Kurzarbeit schicken. Letzteres wird oft als positiv betrachtet, aber wir selbst wissen aus der Forschung, dass negative Gefühle sich schneller ausbreiten als positive. Wenn man in gewissem Maße vor einer ungewissen Zukunft steht, kann auch ein Unternehmen sich schnell in einer Negativ-Spirale wiederfinden."

Als Consulting-Agentur geht es bei euch auch darum, die Unternehmenskultur unterschiedlichster Kunden zu verbessern. Wie genau hat man sich diesen Prozess vorzustellen?

Ilhan: "Ich würde da gar nicht zwingend von Verbesserung sprechen wollen. Der Punkt ist, dass wir es greifbar machen wollen. Es gibt mehrere elementare Bereiche eines Unternehmens: das ist einmal die Kultur, es sind die Menschen selbst mit ihren unterschiedlichen Charakteristika und das komplette Organisationsdesign. Es geht gar nicht so sehr darum, ob die Kultur gut oder schlecht ist, als vielmehr darum, was der Ist-Zustand ist. Wir möchten all diese Aspekte greifbar gestalten. Wir fokussieren uns auf kritische Punkte und brechen Kultur runter in psychologische Sicherheit. Soll bedeuten: fühlen sich die Menschen soweit wohl, dass sie alles ansprechen können? Das können wir mittlerweile messen. Wir bauen dann ein Design innerhalb dieses Konstruktes, mit Hilfe dessen das Unternehmen wieder agieren kann und sich weniger selbst im Weg steht. Die Vogelperspektive ist dabei unsere Herausforderung."

Wie wohl fühlen sich Mitarbeiter in einem Unternehmen? Ilhan und sein Team finden genau das heraus - mit einem spielerischen Ansatz
Wie wohl fühlen sich Mitarbeiter in einem Unternehmen? Ilhan und sein Team finden genau das heraus - mit einem spielerischen Ansatz
Bei NEXT MANNHEIM hat man uns Vertrauen geschenkt, lange bevor andere es getan hätten. Das hat uns Türen geöffnet.
Ilhan Scheer

Wie genau eruiert ihr, wo es Dinge gibt, die optimierbar sind?

Ilhan: "Klassische Unternehmensberatung bedient sich einer mehrwöchigen Stakeholder-Analyse, wir hingegen setzen auf einen spielerischen Ansatz. Beispielsweise mit einem Landkarten-Workshop mit Schleich-Tieren. Dazu brauchen wir dann einen Tag. Wir malen Landkarten, und ähnlich wie bei einer Familienaufstellung platzieren und benennen Mitarbeiter Kollegen als Tiere. Interessant sind dabei die unterschiedlichen Ergebnisse – bei einem Einzelcoaching wird dann auch mal ein „sturer Esel“ verwendet, im Team wird dann daraus ein sensibles Pferd. Das bedeutet, dass wir schon die wahrgenommene Realität verändern. Dann haben wir natürlich auch ein analytisches Tool mit dem wir psychologische Sicherheit und Motivatoren messen können. Die Daten sind anonymisiert, aber die Menschen fangen an zu reden.

Es gibt immer etwas zu verbessern, wie in einem Sport-Team, dabei ist es wichtig, auch kleine Dinge zu justieren. Wenn die Stimmung sich dann ein bisschen verbessert, weil man mal über eher konfliktbehaftete Themen redet, dann ist man schon einen großen Schritt weiter. Es ist immens wichtig, auch innerhalb des Teams immer zu reflektieren, was in der näheren Vergangenheit so los war. Wenn man darüber spricht, was gut war und was nicht so gut war, verbessert sich die Situation oft schon automatisch."

Du bist mit deinem ersten Office mit samt dem Team von damals 18 Mitarbeiter*innen von Stuttgart nach Mannheim ins MAFINEX gezogen? Warum?

Ilhan: "Ich habe ursprünglich in Heidelberg Politikwissenschaften mit Fokus auf Konfliktforschung studiert, komme also von hier. In Leinfelden-Echterdingen haben wir gegründet, weil wir eine recht günstige Gelegenheit hatten, in eine Steuer-Kanzlei mit einzuziehen. Ehrlich gesagt, sind wir dort aber komplett vereinsamt. Ganz abgesehen davon gibt es dort einfach nicht die wahnsinnig gute Infrastruktur, wie sie in Mannheim gegeben ist: Viele Startups, großartige Hilfestellungen. Als wir dann die Möglichkeit hatten, ins MAFINEX zu ziehen und von dem Netzwerk des NEXT MANNHEIM Ökosystems zu profitieren, war es eine sehr leichte Entscheidung, zurück in die Region zu kommen.

Nichts gegen Stuttgart, Karlsruhe, oder sogar Berlin – aber nach Mannheim zu ziehen, war aus diesen Gründen eine aktive Entscheidung. In Mannheim hast du viele Faktoren auf einmal – Diversität, unglaublich talentierte Entrepreneur*innen, und dem was du tust, wir hier eine viel größere Aufmerksamkeit zu teil. In den vermeintlich gängigen Startup-Hotspots wie Berlin kann es eher zu Problemen kommen, wie beispielsweise bei Verhandlungen mit Banken. Man hat dort das Gefühl, dass alle sich nur fragen „wann scheiterst Du“. Das ist in Mannheim komplett anders. Hier hast du ein Umfeld, das dir Türen öffnet. Mit der Hilfe von NEXT MANNHEIM hatte man Interesse an uns, hat uns ernst genommen. In Mannheim haben wir diese einzigartige Community gepaart mit finanziellen Möglichkeiten und Chancen, diese Kombination ist herausragend. 

Wir haben einen Service, der besonders ist, haben aber auch ein Produkt entwickelt. Im MAFINEX hat man uns von Anfang an Vertrauen geschenkt, und das wahrscheinlich schon lange bevor es andere getan hätten."

Ihr geltet in der Branche ein wenig als die jungen Wilden. Könnt ihr das bei Accenture so weiterführen, oder wird ab jetzt Anzug getragen?

Ilhan (lacht): „Auf keinen Fall. Wir wurden ja genau deswegen geholt. Junge Wilde stimmt schon irgendwie, auch wenn es Kunden gab, die uns liebevoll „Kinderriegel“ genannt haben. Unsere Leichtigkeit, unsere komplette DNA und die Tatsache, dass Beratung sich verändert, hat Accenture als Käufer angezogen, mich hingegen beeindruckte die sehr unkomplizierte Verhandlung auf Augenhöhe. Man interessierte sich für unser spannendes Tool, das nicht über Monate mit sehr hohen Kosten angewandt werden muss, sondern in kürzester Zeit ein Ergebnis liefert. Wir sind als komplettes Team bei „Talent & Organization“ angesiedelt, ich selbst werde hier als Managing Director für den Bereich Business Agility verantwortlich sein."

Bedeutet, du bist ab jetzt nicht mehr Chef, sondern angestellt?

Ilhan: „Ich war ja alleiniger Gesellschafter meiner Firma, jetzt freue ich mich darauf, mit tollen, erfahrenen Menschen zusammenzuarbeiten. Es war niemals ein Ego-Ding oder Anspruch von mir, ein Unternehmer zu sein, auch wenn ich ein recht großes Unternehmen erfolgreich aufgebaut habe.

Wie kamst du dann überhaupt auf die Idee zu gründen?

Ilhan: „Das war irgendwie eine fast dramatische Geschichte. Ich selbst musste erfahren, dass es nicht so einfach ist, Chancen zu ergreifen und den Job zu finden, den man möchte, wenn man einen türkischen Nachnamen hat, den ich vor einer Heirat noch hatte. Ich wollte eigentlich erst Mal promovieren, habe aber dann doch mit einem Kumpel zusammen gegründet. Dabei ging es eher noch um Mediation und Konfliktmanagement. Das lief nicht gut. Was auch daran liegt, dass man auch als erfolgreicher Mediator nicht zwingen weiterempfohlen wird. Menschen sagen eben ungern: „Ich hatte einen Konflikt, der super gelöst wurde!“ Das findet einfach nicht statt. Ich hatte keine Ahnung was es heißt, Unternehmer zu sein, wir waren beide in einer Druck-Situation, hatten einen recht hohen Schuldenverlauf. Er ist dann schlussendlich raus gegangen, und ich habe ich eben weitergemacht. Nicht, weil ich unbedingt Entrepreneur sein wollte, ich hatte keine Wahl. Dann hab‘ ich mir Bücher genommen und erst mal gelesen, was ein Unternehmen ist.  Ein guter Berater und Freelancer war ich immer. Ich musste lernen, dass es ganz andere Dinge braucht, eine guter Unternehmer zu sein."

Es war niemals ein Ego-Ding oder Anspruch von mir, ein Unternehmer zu sein...
Ilhan Scheer

So ganz lässt du das Unternehmertum aber nicht zurück – du bist noch immer Gründer und jetzt Investor von Game Flavour. Um was geht es bei diesem Startup?

Ilhan: „Das stimmt. Aber durch meine neue Rolle bei Accenture gebe ich bei Game Flavour gerade an neue Geschäftsführer ab, bleibe aber als Investor tätig.

Die Idee dazu kam mir vor zwei Jahren, als ein Kumpel sein Restaurant eröffnet hat. In Computerspielen gibt es oftmals Getränke, Schokoriegel oder ähnliches, die es nur im Spiel gibt, die man als Gamer verwenden kann. Manche haben Eigenschaften wie Heilung oder sind einfach nur Marketing-Gags. Wir haben die entsprechenden Lizenzen gekauft und produzieren diese Getränke, geben den Fantasieprodukten in der realen Welt Geschmack, Design und Emotion. Die Fans sind begeistert und viele Amerikaner haben uns geschrieben „Wie konnte diese Idee nur in Deutschland und nicht in den USA entstehen? Und dann auch noch in Mannheim?“ Wir sind eben nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch wirklich kreativ.

Auch der Firmenname fable+ hat seine Wurzeln im weitesten Sinne in der Gamerszene – Fable war eigentlich ein Spiel von Microsoft. Ich fand den Namen damals toll und fragte mich, wie ich das kombinieren kann. Immer wenn neue Mitarbeiter kamen, war mein erstes Versprechen, dass sie etwas lernen würden, dass die Zeit bei fable+ eine „Heldenreise“ für sie sein soll. Daher wohl auch die vielen spielerischen Elemente in unserem Arbeitsalltag. Und ja, ich bin ein Gamer! Ich spiele gerne Heldengeschichten, in denen sich Menschen weiterentwickeln.