Geht ab wie … CYANITE!

International erfolgreich: Wie das Mannheimer Startup Cyanite mit KI die Musikindustrie revolutioniert

An der Popakademie haben sie sich kennengelernt und die Social Music App GROOVECAT gestartet. Mit ihrem Tech-Startup CYANITE setzen sie jetzt auf Artificial Intelligence und starten erfolgreich durch. Wie Musikunternehmen mit ihren Algorithmen den Sprung ins KI-Zeitalter schaffen, erklären die Co-Gründer Jakob Höflich und Joshua Weikert im Interview.

Zuerst die Social Music App-GROOVECAT – jetzt das KI-Music-Startup CYANITE. Evolution oder ein neuer Plan?

Jakob: Pure Evolution! Als wir mit unserem Co-Gründer Markus Schwarzer GROOVECAT gestartet haben, stand CYANITE noch nicht auf dem Plan. Zwei Jahre lang haben wir eine tolle Community aufgebaut, aber es gab Probleme, die Idee zu vermarkten und zu monetarisieren. Dann haben wir aber herausgefunden, dass unsere Daten ein wahrer Schatz sind. Das war der Impuls zu pivotieren – hin zu CYANITE.

Welche Vision steckt hinter CYANITE?

Jakob: Wir drei Gründer hatten schon jahrelange Erfahrung im B2B-Musikbusiness. Wir haben bei Labels, bei PR-Agenturen oder bei Radiosendern gearbeitet und bemerkt, dass es bei der Musiksuche Probleme gibt – die wir mit KI-Technologie lösen können. Das war der Startschuss.

Was ist Euer Geschäftsmodell?

Jakob: Letztens hat jemand gesagt: „Ihr macht also B2B-Spotify-Algorithmen-As-a-service“. Das beschreibt es eigentlich ganz gut – oder anders gesagt: Für Musikbibliotheken und Musikverlage, Streaming-Portale, Radio/TV-Sender oder Soundbranding-Agenturen analysieren und kategorisieren wir Musik und machen sie leichter auffindbar. Für Unternehmen wie die Mediengruppe RTL, den SWR, RipCue Music, Filmmusic.io oder Soundtaxi analysieren wir in wenigen Stunden Millionen von Songs.

Die Cyanite-Macher: Jakob Höflich, Markus Schwarzer und Joshua Weikert (v.l.n.r.) Foto: Stadtmarketing Mannheim
Die Cyanite-Macher: Jakob Höflich, Markus Schwarzer und Joshua Weikert (v.l.n.r.) Foto: Stadtmarketing Mannheim

Welchen Vorteil bietet das Euren Kunden?  

Joshua: Unsere Algorithmen ermöglichen das einfache Suchen und Finden von passender Musik zu einem bestimmten Kontext. Die Firmen müssen nicht selbst in teure Forschung investieren, sondern können unseren Service nutzen: Die automatische Verschlagwortung von Musik und die algorithmische Suche im eigenen Katalog.

Jakob: Ein Beispiel: Wer eine Plattensammlung besitzt, wird sie sortieren – zum Beispiel alphabetisch oder nach Genres. Auch Musikbibliotheken haben Systematiken zur Sortierung und genau da setzen wir an: Wir helfen ihnen, Ordnung in die Ordnungsstrukturen zu bringen, zum Beispiel über unsere Similarity Search.

Wie funktioniert das technisch?

Joshua: Wir finden ähnliche Songs über Parallelen und Soundstrukturen. Diese entstehen nicht nur durch Suchkriterien wie Tonart, BPM oder die Mood-Tags. Unsere KI-Technologie analysiert unter anderem auch Parallelen im Audio-Signal.

Kann Eure Software also auch Plagiate entdecken?

 Joshua: Tatsächlich kann man durch unsere Similarity Search immer wieder auf Plagiate stoßen. Wir hatten mal „Uptown Funk“ von Bruno Mars bei uns als Referenzsong im System – und die KI hat einen indischen Song gefunden, der praktisch eine 1:1-Kopie war…

Jakob Höflich, Co-Gründer von Cyanite. Foto: Maxim Abrossimow
Jakob Höflich, Co-Gründer von Cyanite. Foto: Maxim Abrossimow

Nutzen auch ganz normale Musikfans CYANITE?

Jakob: Wir wollen nicht hinter einem Vorhang eine geheime KI entwickeln. Deshalb haben wir eine öffentliche Web-App, mit der man 30 Songs im Monat kostenlos analysieren kann. Dieser Service wird von vielen Musikfans genutzt, aber auch von Künstler*innen, die nach den richtigen Mood-Tags suchen, um ihre Musik bei Spotify zu pitchen. 

Wir fokussieren uns auf unser Kernthema: B2B-Kunden die passende Musik für ihren jeweiligen Use Case anzubieten.
Joshua Weikert

Spotify wirbt, dass bestimmte Playlists noch von Menschen erstellt werden. Was ist zukünftig wertvoller?

Joshua: Spotify ist algorithmisch geprägt, auch wenn die New Music Friday-Playlist persönlich kuratiert ist. Das ist auch der Grund, weshalb Label- und Artist-Managerinnen einen guten Draht zu Spotify zu halten, um in dieser Playlist zu landen. Schwer zu sagen, was für Hörer*innen wertiger ist. Ich glaube, es kommt auf die Hörsituation an. Manche Leute haben sicher das Bedürfnis, aus der Spotify-Bubble auszubrechen, weshalb es im Netz auch hunderte Artikel gibt, wie man seinen Spotify-Algorithmus beeinflussen kann, damit er mal ein bisschen andere Musik spielt. 

Kann man einem Algorithmus Musikgeschmack beibringen?

Jakob: Es ist ja eine philosophische Frage, was guter Musikgeschmack ist. Ich kann Musik hören, die mir persönlich viel bedeutet – für Joshua kann die gleiche Musik der totale Quatsch sein. Ein Algorithmus kann lernen, Musik zu erkennen, die zu einem bestimmten Musikgeschmack passt. 

Kann ein Algorithmus potentielle Hits erkennen?

Joshua: Es ist eine spannende Frage, ob man durch KI Hits vorhersagen kann. Es gibt bereits Versuche  von Unternehmen, das zu einem Geschäftsmodell zu machen. Die Problematik dabei ist, dass man der Aktualität hinterherhinkt, wenn man sich an Erfolgsmerkmalen orientiert, die in der Vergangenheit erfolgreich waren. Musik ist ja eine Kunstform, die überraschen soll! Deshalb haben wir entschieden, auf diesem Gebiet nicht aktiv zu werden, sondern uns auf unser Kernthema zu fokussieren: B2B-Kunden bestmöglich dabei zu unterstützen, die passende Musik für ihren jeweiligen Use Case anzubieten.

Auch für Filmproduzenten auf der Suche nach passender Musik?

Jakob: Ja, zukünftig können sie bei uns auch Videos oder Bilder uploaden. Anhand von Stichworten, die die Atmosphäre einer bestimmten Szene beschreiben, findet unser Algorithmus die passende Musik dazu.  Mit CYANITE PLAY haben wir da auch schon einen ersten Showcase dafür.

Cyanite-Co-Gründer Markus Schwarzer. Foto: Maxim Abrossimow
Cyanite-Co-Gründer Markus Schwarzer. Foto: Maxim Abrossimow

Habt Ihr eines der NEXT MANNHEIM-Gründer*innenzentren als Sprungbrett genutzt?

Joshua: Ja, wir sind im Tech-Gründungszentrum Mafinex gestartet, was eine optimale Plattform war. Später sind wir in die Innenstadt umgezogen und haben seit 2018 zwei Büros: eines in Berlin und eines in Mannheim. Das haben manche kritisch gesehen, aber paradoxerweise konnten wir so bereits vor der Corona-Pandemie Remote-Strukturen aufbauen und uns mit den Schwierigkeiten vertraut machen, die die digitale Arbeit mit sich bringt. Spätestens seit dem Coronajahr wissen wir: Das Homeoffice-Modell passt zu uns, denn unser momentan 14-köpfiges Team ist dezentral, weil international aufgestellt: Wir haben Mitarbeiter*innen in Mannheim und Berlin, aber auch in Saarbrücken, Maastricht, Warschau und China.

Mannheim hat einen guten Vibe und man findet offene Ohren für Ideen. In anderen Städten fühlt sich das eher wie ein Haifischbecken an.
Joshua Weikert

Eure Homebase ist Mannheim. Was verbindet Euch mit der Stadt?

Joshua: Wir drei Gründer haben uns hier 2014 an der Popakademie kennengelernt und ich selbst bin ja auch gebürtiger Mannheimer. Die Stadt hat schon sehr viel dazu beigetragen, dass wir uns hier so entwickeln konnten. Im Gegensatz zu einer Stadt wie Berlin sind in Mannheim die Wege kurz, man ist nicht so reizüberladen, man findet hier schneller seinen Fokus. Es gibt einen guten Vibe, man findet offene Ohren für seine Ideen und man wird angeschubst, fast angestoßen – das ist hier so eine Art „positives Reinforcement“. In anderen Städten fühlt sich das eher wie ein Haifischbecken an. 

Ein Teil des 14-köpfigen Cyanite-Teams (v.l.n.r.): Markus Schwarzer (Co-Gründer), Roman Gebhardt (Head of Data Science), Alice Decandia (Content Manager), Jakob Höflich (Co-Gründer) Foto: Cyanite
Ein Teil des 14-köpfigen Cyanite-Teams (v.l.n.r.): Markus Schwarzer (Co-Gründer), Roman Gebhardt (Head of Data Science), Alice Decandia (Content Manager), Jakob Höflich (Co-Gründer) Foto: Cyanite

Wie international ist Euer Business-Modell?

Jakob: Wir sind inzwischen viel internationaler, als wir es uns anfangs vorstellen konnten. In den letzten Monaten haben wir Kunden weit über Europa hinaus gewonnen – aus Südkorea, Israel, Kanada und Amerika. Neu dabei ist zum Beispiel die kalifornische DJ-Plattform BPM Supreme, die unsere Moods in ihr Such-Interface integriert haben. Wir finden diese Entwicklung ziemlich cool – das macht gerade extrem viel Spaß!   

Wer investiert in Cyanite? 

Jakob: Unsere Investoren kommen aus Mannheim und aus der Metropolregion Rhein-Neckar. Von Anfang an Bord ist Dr. Andrea Kranzer, Deutschlands Business Angel des Jahres 2019. Wir haben uns bei einem Pitch Event auf dem Mannheimer Maimarkt kennengelernt. Alles weitere hat sich dann hier aus den Netzwerken des Startup Ökosystems NEXT MANNHEIM heraus entwickelt. Zuerst ist die Beteiligungsfonds Wirtschaftsförderung Mannheim GmbH bei uns eingestiegen – dann Oliver Lesche, ein bekannter Seed-Investor aus der Mannheimer Szene, und letztes Jahr noch Dr. Daniel Kondermann aus Heidelberg.

Head of Development Laurin Quast (links) und Cyanite Co-Gründer Joshua Weikert. Foto: Next Mannheim
Head of Development Laurin Quast (links) und Cyanite Co-Gründer Joshua Weikert. Foto: Next Mannheim

Woher kommt Eure KI-Kompetenz?

Joshua: Unsere KI-Kompetenz entstand mit dem Einstieg unseres Data-Scientist Roman, der die ersten Algorithmen für uns entwickelt hat. Ich versuche das mal zu beschreiben: In unserem innersten System läuft Phython, da verwenden wir Frameworks wie TensorFlow oder Keras. Darin laufen die Maschine Learning-Modelle, außenherum Layers mit JavaScript, TypeScript und Node.js im Backend. Über ein Frontend können unsere Nutzer dann darauf zugreifen.

Und wie funktioniert Deep Learning?

Joshua: Im Prinzip programmieren wir die KI gar nicht, die KI lernt selbstständig. Frameworks wie TensorFlow sorgen dafür, dass Muster erkannt und gelernt werden, basierend auf Bilderkennung. Man kann sich das so vorstellen, dass wir beispielsweise drei Bilder eingeben, in deren oberer rechten Ecke immer ein roter Pixel ist, dann ist das ein Muster. Wenn diese drei Beispiele zum Beispiel Pferd bedeuten, dann wird das nächste Bild mit einem roten Pixel oben in der Ecke mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auch Pferd bedeuten. Wenn wir das milliardenfach durchspielen, entstehen komplexe Learning-Muster, auf denen unsere Technologie basiert.

Wie ausgereift ist Eure KI-Technologie?

Jakob: Unsere KI ist schon weit entwickelt. Lionel von SyncLodge hat letztens gesagt: „You guys come clostest to the description truth“. Kriterien wie BPM und Tonart werden zu 95 Prozent richtig erkannt. Bei Moods ist das schwieriger zu sagen, da die Stimmung eines Songs ja viel subjektiver ist. Doch es ist gar nicht unsere Philosophie, einen Song in eine nicht verhandelbare Box zu stecken – weil er für manche vielleicht "happy" wirkt, für andere vielleicht nicht. Wir können aber verallgemeinern, dass ein von uns als „happy“ erkannter Song für die meisten Menschen höchstwahrscheinlich auch "happy" klingt. Das deckt sich auch mit neuesten Ergebnissen aus der Wissenschaft, über die wir in unserem Blog berichten. 

Und dann können Eure Kunden – ähnlich wie Spotify – Playlists für bestimmte Stimmungen erstellen?

Jakob: Ja, aber wir haben einen anderen Ansatz. Spotify hat die Zielsetzung, passende Musik zu einem bestimmten Hörverhalten zu bieten. Wir finden dagegen gezielt auch den passenden Song zu einem Suchkriterium. Beispiel: Dir gefällt „Blinding Lights“ von The Weeknd und Du suchst für einen Werbe-Jingle einen ähnlichen Song, nur mit einem 70er Sound, mit einem Piano und einer Frauenstimme. Da können wir helfen!

Foto: Stadtmarketing Mannheim
Foto: Stadtmarketing Mannheim

Wo seht Ihr Euch in einem Jahr – und in 30 Jahren?

Jakob: In einem Jahr sehen wir uns als einer der Marktführer im Bereich KI-basierte Verschlagwortung und Musiksuche. In 30 Jahren? Möchten wir zurückblicken und sagen können, dass wir einen wichtigen und wertvollen Beitrag für den Übergang der Musikindustrie ins KI-Zeitalter geleistet haben.   

Joshua: In einem Jahr: vielleicht ein paar mehr Nullen auf dem Konto. In 30 Jahren: Ich wollte immer schon CTO einer großen Firma werden. Vielleicht ist das dann ja CYANITE.

Mit unserer Tech-Power wollen wir auch kleinere, unabhängige Musik- Unternehmen dabei unterstützen, den Sprung ins KI-Zeitalter zu schaffen. 
Jakob Höflich

Wie wird sich die Musikindustrie verändern?

Jakob: Es wird eine eine Machtverschiebung hin zu den großen Unternehmen wie Spotify oder Apple Music geben. Mit unserer Tech-Power wollen wir auch kleinere, unabhängige Musik- Unternehmen dabei unterstützen, den Sprung ins KI-Zeitalter zu schaffen. 

Was ist die nächste große Herausforderung?

Joshua: Wie suchen ständig und dringend Talente für unser Entwickler-Team! Also Full Stack React und node.js Entwickler*innen. Aktuell ist es sehr schwierig, in Deutschland KI-Spezialist*innen zu finden. Deswegen suchen wir auch weltweit und insbesondere über mehr Frauen im Bereich Data Science würden wir uns sehr freuen.  

Mehr Info: www.cyanite.ai

Interview: Ralf Laubscher I LA.MAG