Über Genderdisziplin und Stolpersteine

6 Fragen an Christian Sommer zum Weltfrauentag

Der deutsche Politiker und Publizist August Bebel hat schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts erkannt, dass es "keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter" geben kann. Jetzt, 150 Jahre später, mögen wir in Teilen der Welt ein Stückchen weiter sein. Aber eben nur ein kleines. 
Zum Weltfrauentag, der seit 1911 auf Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter aufmerksam macht, haben wir NEXT MANNHEIM Geschäftsführer Christian Sommer auf den Zahn gefühlt, wie er die Situation und sein eigenes Handeln einschätzt.

Und dabei einen Nerv getroffen....

Wie stehst du persönlich zum Thema Gendergerechtigkeit und was tut NEXT MANNHEIM in Bezug auf Chancengleichheit? 

Christian: Ich selbst musste in diesem Kontext sehr viel lernen. Ich bin 1966 geboren und in einer relativ klaren Rollenstruktur aufgewachsen. Diese habe ich verinnerlicht und auch sehr lange nicht infrage gestellt. Darüber hinaus habe ich in den neunziger Jahren in der Musikindustrie gearbeitet, die auch nicht wirklich dafür bekannt war und ist, Frauen und Männer gleich zu behandeln. Irgendwann wurde ich, von jungen  Mitarbeiter*innen damit konfrontiert, dass meine Haltung nicht mehr zeitgemäß ist. Ich habe mich dann darauf eingelassen, diese Haltung zu hinterfragen. Und wie immer in solchen Prozessen muss man eine Menge eigene, innere Barrieren überwinden, um wirklich etwas zu ändern. So waren meine ersten Einlassungen in diesem Bereich eher zaghaft und hatten eine Alibifunktion. Ich habe mich selbst oft gefragt: „Muss der Blödsinn jetzt wirklich sein? Haben wir nichts besseres zu tun?“.

Ich bin aber dran geblieben und habe über die Jahre verstanden, wie wichtig dieser Aspekt für den Erfolg unseres Unternehmens und wie wichtig meine Rolle in diesem Prozess ist. Ich treffe heute keine Entscheidung, ohne dass diese in meinem Team, das zu mehr als zur Hälfte aus Frauen besteht, abgestimmt ist. Sollte die Stadt Mannheim entscheiden, mir eine weibliche Co-Geschäftsführung zu Seite zu stellen, würde ich dies mittragen. Man muss verstehen, dass eine solche Entwicklung in kleinen Schritten geschieht. Es ist ein kulturelles Thema. Kultur verändert man nicht über Nacht. Ich denke, es sind auch die kleinen, oft fast symbolischen Maßnahmen, wie die „Gendersternchen“. Das sind semantische Stolpersteine, die mich daran erinnern, dass es noch viel zu tun gibt und mich zur „Genderdisziplin“ mahnen. Wir haben bei NEXT MANNHEIM ein Gender-Komitee eingerichtet, das einen Gleichheits- und Diversitäts-Kodex für NEXT MANNHEIM erarbeitet hat. Das Komitee überwacht auch die Umsetzung. Darüber hinaus haben wir das Ziel, die Anzahl weiblicher Tech-Gründungen in Mannheim signifikant zu erhöhen. Aktuell liegt diese Quote bei nur ca. 13%.

Was fällt Dir zum Thema „Frauenquote“ und „Equal Pay Day“ ein? 

Christian: Grundsätzlich ist es schade, dass wir über so etwas überhaupt reden müssen. Aber es ist nun mal ein Fakt, dass es zu wenige Frauen in Entscheidungspositionen gibt, und dass Frauen oft für gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als Männer. Da diese Effekte durch „geübte Praxis“ und „den Markt“ offensichtlich nicht verschwinden, glaube ich, dass sowohl eine Frauenquote, als auch besondere Anstrengungen zum „Equal Pay“ notwendig sind. Der Schlüssel hierzu liegt, wie schon immer, bei den Männern. Wenn Männer akzeptieren würden, dass sie nur dadurch, dass sie Männer sind, grundsätzliche Vorteile in Gesellschaft und Beruf haben, wäre es einfacher darüber zu sprechen und Lösungen zu finden. Es wird aber von den meisten negiert und daher ist es schwierig, Lösungen zu finden. Solange das so ist, brauchen wir entsprechende Regelungen.

Auch für NEXT MANNHEIM Geschäftsführer Christian Sommer war es ein langer Prozess, seine eigene Haltung zu hinterfragen. Heute setzt er alles daran, dass sein Team einen eigens für das Unternehmen erarbeiteten Gleichheits- und Diversitäts-Kodex umsetzt und lebt.
Auch für NEXT MANNHEIM Geschäftsführer Christian Sommer war es ein langer Prozess, seine eigene Haltung zu hinterfragen. Heute setzt er alles daran, dass sein Team einen eigens für das Unternehmen erarbeiteten Gleichheits- und Diversitäts-Kodex umsetzt und lebt.
"Gendersternchen" sind semantische Stolpersteine, die mich daran erinnern, dass es noch viel zu tun gibt!
Christian Sommer

Woran glaubst Du liegt es, dass Frauen sich häufiger unter Wert verkaufen und was müsste passieren, dass sich das ändert? 

Christian: Erziehung, immer noch falsche Rollenbilder und daran, dass der Kulturwandel, hin zu einer gendergerechten Gesellschaft noch lange nicht abgeschlossen ist. Ich glaube wir sind auf dem Weg, aber er ist noch weit. 

Warum gründen Frauen seltener?

Christian: Ich glaube, die Antwort ist die selbe wie auf die Frage zuvor. Irgendwann in der Pubertät passiert etwas was Mädchen einen anderen Weg gehen lässt als Jungs. Die Mehrheit der Top-Abiture in den Mint-Fächern werden von Mädchen abgelegt. Nur ein Bruchteil von diesen Mädchen studiert einen technischen Beruf. Von diesen wenigen Studentinnen gründen dann auch nur wenige. Dies hat auch etwas mit Rollenvorbildern und dem daraus resultierenden Selbstverständnis zu tun. In der Medizin ist das z.B. völlig anders. Hier sind die meisten Studierenden Frauen. In vielen Filmen, Fernsehshows und Geschichten gibt es immer die junge, attraktive Ärztin mit Heldinnenstatus. Das wollen die Mädchen auch. Die Programmierer, Ingenieure, Rennfahrer, Piloten, Tech-Nerds usw. sind hier meistens Männer. Das ist sicher nicht der alleinige Grund dafür, aber es spielt eine Rolle. Unconscious Bias gibt es nicht nur bei Männern sondern auch bei Frauen im Hinblick auf die eigene Rolle. 

Nur ein kleiner Teil der Frauen, die bei NEXT MANNHEIM dafür sorgt, dass Gleichberechtigung ganz groß geschrieben wird: Anna, Isabella, Julia, Lena, Katharina, Lorena, Birka, Claudia, Julia, Beril, Judith und Anna.
Nur ein kleiner Teil der Frauen, die bei NEXT MANNHEIM dafür sorgt, dass Gleichberechtigung ganz groß geschrieben wird: Anna, Isabella, Julia, Lena, Katharina, Lorena, Birka, Claudia, Julia, Beril, Judith und Anna.

Was macht das GIG7, Women Tech Founders und die Position Lena Rübelmann so besonders?  

Christian: Lena (Bereichsleitung FeMale Entrepreneurship) und ihr Team sind unermüdliche Kämpferinnen für eine gendergerechte Wirtschaft und Female Entrepreneurship.  Sie sind davon überzeugt, dass es für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft besser ist, wenn mehr Frauen entscheidende Positionen einnehmen. Im eigenen Unternehmen, in Industrie oder Mittelstand. Für Lena und ihr Team ist das nicht nur ein Job, sondern eine Mission, die sie mit wahnsinnigem Engagement vorantreiben. 

Wie viele Frauen arbeiten bei NEXT MANNHEIM und was macht das Arbeiten mit den Kolleginnen so besonders?

Christian: Auswendig weiß ich das gar nicht, aber wir beschäftigen mehr Frauen als Männer. Ich kann gar nicht sagen, dass das Arbeiten mit Kolleginnen so besonders ist. Die Art der Zusammenarbeit mit Frauen und Männern ist sicherlich unterschiedlich, aber keine Zusammenarbeit ist besser, schlechter oder besonders. Und genau darum geht es.